by Friedrich Rückert (1788 - 1866)
Translation
Vom Bäumlein, das and're Blätter gewollt
Language: German (Deutsch)  after the German (Deutsch)
Es ist ein Bäumlein gestanden im Wald In gutem und schlechtem Wetter; Das hat von unten bis oben Nur Nadeln gehabt statt Blätter; Die Nadeln, die haben gestochen, Das Bäumlein, das hat gesprochen: „Alle meine Kameraden Haben schöne Blätter an, Und ich habe nur Nadeln, Niemand rührt mich an; Dürft' ich wünschen, wie ich wollt', Wünscht' ich mir Blätter von lauter Gold.“ Wie's Nacht ist, schläft das Bäumlein ein, Und früh ist's aufgewacht; Da hatt' es goldene Blätter fein, Das war eine Pracht! Die Blätter funkeln im Sonnenschein, mit Stolz aber spricht das Bäumelein: „Alle meine Kameraden haben grüne Blätter nur. Alles schaut mich an mit Neide hier auf weiter Flur, denn sprechen kann ich wohl mit Stolz: Gold'ne Blätter hat kein Baum im Holz! Aber wie's Abend ward, Ging der Jude durch den Wald Mit grossem Sack und langem Bart, Der sieht die goldnen Blätter bald; Er steckt sie ein und eilet fort; nun spricht das leere Bäumlein dort: „Ach, wie sehr muss ich mich grämen, die gold'nen Blätter dauern mich; muss vor den andern mich schämen, sie tragen so schönes Laub an sich. Dürft' ich mir wünschen noch was, so wünscht' ich Blätter mir von hellem Glas. Da schlief das Bäumlein wieder ein, Und früh ist's wieder aufgewacht; Da hatt' es glasene Blätter fein, Das war eine Pracht! Die Blätter glitzern im Sonnenschein, so glitzert im Walde kein Bäumelein! Da kam ein grosser Wirbelwind Mit einem argen Wetter, Der fährt durch alle Bäume geschwind Und kommt an die gläsernen Blätter; da lagen sie alle zerbrochen, das Bäumlein aber hat gesprochen: „Nun muss ich wieder trauern, all mein Glas liegt nun im Staub; all' die anderen Bäume dauern mit ihrem grünen Laub. Wenn ich mir noch was wünschen soll, wünsch' ich mir grüne Blätter wohl.“ Da schlief das Bäumlein wieder ein, Und wieder früh ist's aufgewacht; Da hatt' es grüne Blätter fein; das war eine Pracht! Nun hat's doch grüne Blätter auch. Dass es sich nicht zu schämen brauch'. Da kommt mit vollem Euter die alte Geiß gesprungen; sie sucht sich Gras und sucht sich Kräuter für ihre Jungen. Sie sieht das Laub und fragt nicht viel, Sie frisst es ab mit Stumpf und Stiel. Da war das Bäumlein wieder leer und sprach nun zu sich selber: „Ach, nun begehr' ich armes Bäumlein keiner Blätter mehr, weder grüner, noch roter, noch gelber! Hätt' ich nur meine Nadeln, Ich wollte sie nicht tadeln.“ Und traurig schlief das Bäumlein ein, Und traurig ist es aufgewacht; Da besieht es sich im Sonnenschein Und lacht und lacht! Alle Bäume lachen's aus; Das Bäumlein macht sich aber nichts daraus. Warum hat's Bäumlein denn gelacht, und warum denn seine Kameraden? Es hat bekommen in einer Nacht wieder alle seine Nadeln, dass jedermann es sehen kann. Geh' 'naus, sieh's selbst, doch rühr's nicht an! Warum denn nicht? Weil's sticht.
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- a text in German (Deutsch) by Friedrich Rückert (1788 - 1866), no title
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Karl Heinrich Carsten Reinecke (1824 - 1910), "Vom Bäumlein, das and're Blätter gewollt" [ voice and piano ], Leipzig, C. F. W. Siegel [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Johann Winkler
This text was added to the website: 2021-04-20
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