by Franz Hartmann (1838 - 1912)
Wiederfinden
Language: German (Deutsch)
Vor Kurzem hab' ich sie wiedergeseh'n, ich hab' ihr die Hand gereicht. Sie war nicht jung mehr, sie war nicht schön; die Wangen sind abgebleicht. Die Stirn, auf die einst, wie Rosenglut, der Hauch meines Kusses geflogen, der Mund, auf dem meine Lippen geruht, sind bleich, von Wolken umzogen. Und ach, die lächelnde Liebesblüt', das Grübchen auf ihren Wangen, das hat wohl lange schon ausgeblüht und ist im Schmerz vergangen. Ich nahm ihre weiße, bebende Hand. „Was weinest du?“ hab' ich gefragt; da hat sie die Augen zu mir gewandt und weiter mir nichts gesagt. Die Augen wandte sie zu mir her, die alten Augen, die lieben, und von ihrem blau unendlichen Meer ist nur ein Tropfen geblieben. Der quoll aus der dunkeln Tief' in die Höh', die Perle aus ihrem Herzen; sie glänzte von still verschwieg'nem Weh' verklärter Liebesschmerzen. Sie drückte die Hand mir, sie hieß mich geh'n, sie wandte sich zitternd zur Seiten. Sie war nicht jung mehr. sie war nicht schön, und ach, doch so lieb wie vor Zeiten!
Authorship:
- by Franz Hartmann (1838 - 1912) [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Heinrich Proch (1809 - 1878), "Wiederfinden", op. 129, published 1846 [ voice, cello, and piano ], Wien, Diabelli und Co. [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Johann Winkler
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