by Norbert Elias (1897 - 1990)
Warum könnt ihr euch denn nicht...
Language: German (Deutsch)
Bild: Zwei Chöre in Kampfstellung Chorführer (treten zwischen die Kämpfenden und sagen): Warum könnt ihr euch denn nicht vertragen? Warum wollt ihr denn euch selber schlagen? Das tut schliesslich nur euch selber weh! Statt euch miteinander zu verkrachen sucht euch lieber einen Schwachen und verdrescht ihn und verhaut ihn und verprügelt ihn gemeinsam mit Juchheiserassa und Juchhe! Chor: mit Juchheiserassa und Juchhe! I Sprecher: Hört! Hört! Die wahre Geschichte von dem armen Jakob! Der war schon als Kind etwas schwächlich. Seine Stirn war blass, seine Augen auffallend gross und er hatte die eigentümliche Gewohnheit den Finger an die Nase zu legen und nachdenklich ins Blaue zu sehn. Das war natürlich etwas aufreizend. Es kam wohl daher dass er bei Fremden aufwuchs. Und jedesmal wenn seine Pflegemutter und sein Pflegevater sich zankten wenn der Mann sagte: Verdammte Kröte! und die Frau: Dieb, Zuhälter und so weiter wie das in jeder Ehe gelegentlich einmal vorkommt wenn das Geschirr flog und es gerade so aussah als wollten sie sich gegenseitig verprügeln die Frau mit dem Besen und der Mann mit der Faust oder was ihm gerade in die Hand kam dann sahen sie sich plötzlich ganz vertraulich an gaben sich die Hand: So! und ohne ein weiteres Wort zu sagen schlugen sie alle beide im Verein auf den armen kleinen Jakob ein Chor: schlugen alle beide im Verein auf den armen kleinen Jakob ein Sprecher: bis ihnen die Puste ausging und bis da schliesslich auch nicht mehr viel zu schlagen war und am Ende machte ihnen die ganze Geschichte keinen Spass mehr . . . da schickten sie den Jakob ohne Geld in die weite, weite Welt Chor: in die weite, weite Welt. II Sprecher: Auf diese Weise kam er nach München. Da waren alle sehr freundlich zu ihm und halfen ihm und pflegten ihn und sagten: Armer, kleiner Jakob! Und er begann auch bereits ganz hübsch Geld zu verdienen mit Reklamezeichnen und kurzen Artikeln und so denn er hatte eine recht kluge und geschickte Feder. Dann war da auch ein kleines Mädchen Else mit Grübchen in den Backen und auch sonst noch diesem und jenem was gut und freundlich anzusehen war. Die hatte er gern. Und er fing auch schon an sich ganz wohl zu fühlen in dieser Welt und zu träumen wie man eben so träumt: Heirat, Kinder, eine kleine Wohnung draussen im Grünen . . . Aber es waren damals stürmische Zeiten in München. Es gab die graue Soldaten, die marschierten drohend durch die Strassen. Und braune mit prallen Hosen und niedrigen Stirnen die rempelten alle Leute an und schlugen Schaufenster ein und hielten grosse Reden mit Geraufe und Messerstecherein. Und eines Abends als der kleine Jakob irgendwo in einem Lokal mit seinem Mädchen beim Bier sass da kamen ein paar von den Braunen herein richtige Bullen mit Stiernacken und groben Gesichtern und fingen an Skandal zu machen, und die Grauen die da an den Tischen sassen, standen auf und sagten sie sollten ruhig sein. Da beschimpften sie sich gegenseitig und nannten sich Spitzel, Mörder, Judenknechte und Gott weiss was. Und es sah schon so aus, als ob sie übereinander herfallen wollten und als ob es Mord und Totschlag geben würde da sahen sich die Grauen und die Braunen plötzlich ganz vertraulich an gaben sich die Hand: So! und sagten: Warum können wir uns nicht vertragen? Warum sollen wir uns selber schlagen? Das tut schliesslich nur uns selber weh! Statt uns miteinander zu verkrachen suchen wir uns lieber einen Schwachen und verprügeln ihn gemeinsam mit Juchheiserassa und Juchhe! Chor: mit Juchheiserassa und Juchhe! Sprecher: Und dann schlugen alle im Verein auf den armen kleinen Jakob ein bis sie die Puste verloren und das Licht ausging. Da kroch der kleine Jakob auf allen Vieren ins Freie und versteckte sich irgendwo und heilte seine Wunden so gut es ging. Und dann zog er wieder ohne Geld ein Stück weiter in die weite Welt. Und die Else hat er nie mehr wiedergesehn. III Sprecher: So kam er schliesslich an die holländische Grenze. Da stand ein grosser Mann in Uniform und fragte wo er hin wollte. Und der kleine Jakob sagte: Wo anders hin. Der Mann aber sah ihn von oben bis unten an fragte ihn nach Papieren und Geld und als der kleine Jakob gar nichts vorzeigen konnte da sagte er: Hier kannst du nicht herein. Und als der kleine Jakob bettelte und sagte: Wenn ich wieder zurückmuss, da schlagen sie mich tot da sagte er: Armer kleiner Jakob so leid es mir tut, hier kannst du nun mal nicht herein! Das ist gegen die Regulationen. Und deinesgleichen wollen wir hier überhaupt nicht, so leid es mir tut. Aber wenn du willst könn' wir dich über die Grenze nach Belgien schaffen vielleicht behalten die dich. Da sagte der kleine Jakob: Ja. Chor: Und so wurde er also heimlich bei Nacht über die Grenze nach Belgien gebracht. Sprecher: Da stand er nun in einem grossen dunklen Walde und fürchtete sich ein bisschen. Dann er wusste ja gar nicht wohin er gehen sollte und es regnete und Hunger hatte er auch. Aber als er ein paar Schritte gegangen war da stand schon wieder ein Mann in Uniform klein, mit schwarzem Schnurrbart, der schrie: Halt, wer da? Und als er den kleinen Jakob erkannte, da sagte er: Du bist heute schon der dreiundzwanzigste! Wenn ich nur diesen Holländer mal erwischen könnte der euch herüberschmuggelt. Aber als er sah dass der kleine Jakob hungrig war da gab er ihm ein Stück Brot und als er sah dass ihm kalt war da gab er ihm seinen Mantel denn er hatte im Grunde ein mitleidiges Herz. Und dann warf er ihn in das Gefängnis zu den anderen zweiundzwanzig. Da lag nun der kleine Jakob und fühlte sich ganz wohl denn er war wenigstens nicht so nass und zu essen bekam er auch. Aber er konnte da nicht lange bleiben Chor: denn er wurde schon in der folgenden Nacht über die Grenze nach Holland zurückgebracht. Sprecher: Als er da ein paar Schritte gegangen war da stand schon wieder der Holländer und sagte: So leid es mir tut, hier kannst du nun mal nicht bleiben. Chor: Und dann wurde er in der folgenden Nacht wieder nach Belgien zurückgebracht. Sprecher: So flog er wie ein Spielball immer hin und her und der kleine Jakob fürchtete sich ein bisschen und dachte: Wenn ich es nur aushalte! Wenn ich es nur aushalte! Aber eines Nachts kam der Belgier grade dazu wie der Holländer ihn in den dunklen Wald brachte. Da zankten sich die beiden und schrien auf einander ein. Und der Holländer sagte: Du hast angefangen! Und der Belgier sagte: Du hast angefangen! Und sie schrien und schimpften und tobten so laut dass der Mond sich hinter den Wolken versteckte. Aber als es gerade so aussah, als ob es Mord und Totschlag geben würde und als der kleine Jakob schon zu fürchten begann sie würden sich etwas zu leide tun da sahen sich die beiden plötzlich ganz vertraulich an gaben sich die Hände: So! und sagten: Warum können wir uns nicht vertragen? Warum sollen wir uns selber schlagen? Das tut schliesslich nur uns selber weh! Statt uns miteinander zu verkrachen suchen wir uns lieber einen Schwachen und verhauen und verdreschen und verprügeln ihn gemeinsam mit Juchheiserassa und Juchhe! Chor: mit Juchheiserassa und Juchhe! Sprecher: Und dann schlugen beide im Verein auf den armen kleinen Jakob ein Chor: Und dann schlugen beide im Verein auf den armen kleinen Jakob ein Sprecher: bis ihnen die Puste ausging und bis da schliesslich auch nicht mehr viel zu schlagen war. Dann wurde der kleine Jakob von dem Belgier an die französische Grenze gebracht. Und so zog er wieder ohne Geld ein Stück weiter in die weite Welt Chor: und so zog er wieder ohne Geld ein Stück weiter in die weite Welt. IV Sprecher: So kam er schliesslich nach der grossen Stadt Paris. Da ging er in den Strassen umher und staunte über die vielen fröhlichen Menschen die vor den Cafés bei den Koksöfen sassen und fühlte sich sehr allein denn er konnte gar nicht froh sein und er fror und hungerte. Nur in den Asylen wo er schlief da fand er viele die waren wie er blass mit schäbigen Kleidern und unrasiert. Sie spielten Karten und erzählten sich wie es ihnen ergangen war bis der Wärter das Licht auslöschte. Aber dann wurde es Frühling. Im Luxemburg-Garten kamen die gelben Narzissen ans Licht. Die Luft duftete nach Sonne, jungen Blättern und Aperitifs und eines Mittags als er auf einer Bank mit einem jungen Mädchen zusammensass, da sprach er sie an. Sie plauderten vom Wetter und sahen dass sie sich gern hatten. Sie blieben beieinander bis zum Abend und tanzten zusammen in einem kleinen rauchigen Lokal und sagten Du zueinander. Da begann er sich wohl zu fühlen in den schmalen Hotelzimmern unter den Dächern von Paris und lernte viele Menschen kennen, die waren sehr freundlich zu ihm und halfen ihm und machten ihm Komplimente und grosse Firmen gaben ihm Aufträge für Plakate und Modeentwürfe und er fing bereits an sich einen Namen zu machen Da holte ihn die Polizei weil er keine Arbeitserlaubnis hatte und sperrte ihn ins Gefängnis. Und als kurz darauf der grosse Krieg ausbrach zwischen Deutschland und Frankreich und England wurde er mit vielen seinesgleichen in ein Lager geschafft. Da hungerte er sehr, denn es gab gewöhnlich nur Kartoffelsuppe, Kaffee und Brot. Sie machten sich Spielkarten aus alten Kartons und kneteten sich Schachfiguren aus altem Brot und wenn es regnete dann rann der Schmutz in ihre Hütten. Die grauen Ratten kamen aus ihren Löchern und frassen was sie konnten. Und dann eines Tages hörte man das Trommelfeuer der grossen Kanonen in der Ferne. Die Offiziere wurden böse und aufgeregt und drohten mit Revolvern, wenn einer zu nahe ans Gitter kam. Dann ratterten ganz in der Nähe Maschinengewehre Flugzeuge kreisten niedrig über dem Lager. Zweihundert Schritte von seinem Eingang erschien auf Motorrädern eine Handvoll Deutscher und forderte dass man ihnen die Insassen übergab . . . Da weigerten sich die Franzosen. Sie sammelten sich um ihre Maschinengewehre und einige rückten gegen die Deutschen vor. Aber als es gerade so aussah als wollten die Franzosen sich zur Wehr setzen und als würde es ein blutiges Gefecht geben da traten auf beiden Seiten die Offiziere hervor winkten beruhigend ihren Soldaten, gingen ernst in gemessenem Schritt auf einander zu grüssten schlugen die Hacken und dann sahen sie sich plötzlich ganz vertraulich an gaben sich die Hände: So! und sagten: Warum sollen wir uns nicht vertragen? Warum wollen wir einander schlagen? Das tut schliesslich nur uns selber weh! Statt uns miteinander zu verkrachen suchen wir uns lieber einen Schwachen und verhauen und verdreschen und verprügeln ihn gemeinsam mit Juchheiserassa und Juchhe! Chor: mit Juchheiserassa und Juchhe! Sprecher: Und dann schlugen beide im Verein auf die Leute in dem Lager ein Chor: und dann schlugen beide im Verein auf die Leute in dem Lager ein Sprecher: bis ihnen die Puste ausging und bis da schliesslich auch nicht mehr viel zu schlagen war. Französische Wachen versteckten am Abend den Jakob und einige andre im Ufergebüsch sie brachten sich nachts mit ihnen zusammen in Sicherheit. Und dann zog der Jakob ohne Geld wieder ein Stück weiter in die Welt Chor: und dann zog der Jakob ohne Geld wieder ein Stück weiter in die Welt. V Sprecher: Ja, liebe Leute, dieses ist die wahre Geschichte von dem armen Jakob. Er wanderte von Land zu Land über die weite Erde hin ruhte hier ein wenig, rastete dort eine Weile aber er konnte nirgends lange bleiben. Denn immer wenn die Unruhe unter den Völkern wuchs wenn sie sich lauter und lauter bedrohten mit Tod und Zerstörung gefangen im Dickicht ihres gegenseitigen Hasses wie Fische im Netz dann war er unter den ersten den sie schlugen. Und er musste weiterwandern vorbei an den anderen die noch ruhig vor ihren Häusern sassen und er sagte ihnen, sich bereit zu halten für das Ungewitter, das im Kommen war. Aber die Menschen hörten ihn nicht. Denn er war machtlos und ein Geschlagener. Furchen zogen über sein Gesicht und Narben über seinem Leib und sein Haar wurde grau. Aber die Augen blieben klar und stark auf ihre Weise denn er hatte Vieles gesehen: die Menschen von innen, Schläger und Geschlagene ohne ihre Verhüllungen. Und es gab nur noch wenig vor dem ihm schauderte. Da redete er nicht mehr viel. Die kleinen Falten zogen sich fester um seinen Mund. Nur manchmal wenn er für Monate gefangen sass mit anderen Geschlagenen oder an Deck eines Schiffes auf der Reise nach einem unbekannten Land oder auch in einer der kleinen Tavernen am Rande der südliche Städte wo man die warmen Nächte hindurch billigen Wein trank und Geschichten erzählte und Lieder sang da begann er manchmal zu erzählen: von den Erschlagenen und von denen die sich gerettet hatten von den Liebesleuten, die auseinandergerissen wurden und sich nie mehr fanden und von denen die verschickt wurden ohne zu wissen wohin. Er erzählte von Feinden und wie sie zu bekämpfen, denn so ist unsere Erde aber ohne Bitterkeit und dass auch sie Getriebene sind wie wir alle und im Grunde ohne Schuld. Er erzählte von den Menschen und wie er Gefallen an ihnen fand auch ohne ihre Masken kunstfertig wie sie waren und verspielt und arbeitsam faul und verträumt und grausam, grosse Kinder wenn man sie spielen liess und wilde Tiere wenn die Furcht sie packte und die Wut über sie kam und am nächsten noch den andren Menschen auf die er wartete wenn sie ganz machtlos waren oder teilten die Macht. So erzählte er bis zum Morgengrauen. Und sang ihnen Lieder und trank den Wein und wenn sie unruhig wurden und in Unmut zu raufen begannen: über Äpfel oder ein Fässchen Wein dann redete er ihnen zu sich zu vertragen und sich die Hände zu geben: So! und er sprach zu ihnen und sagte: Warum können wir uns nicht vertragen? Wir haben nichts als uns. Warum sollen wir uns selber schlagen und wehtun? Diese Erde hat genug des Guten Früchte, Wein und Korn warum solln die Schwächeren im Zorn der Stärkeren verbluten? Raufen wir uns um ein Fass voll Wein bricht das Fass in Trümmer, hat am Ende keiner was schenket friedlich ein jeder kriegt ein Glas. Da sangen sie alle und tranken und der alte Jakob freute sich der Menschen so wie sie waren bald gut, bald schlecht, wie es die Zeitläufe brachten. Aber am Morgen machte er sich wieder auf seinen Weg und wenn sie ihn nicht totgeschlagen haben. Sprecher und Chor: wandert er noch immer ohne Geld ein Stück weiter um die weite Welt.
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Authorship:
- by Norbert Elias (1897 - 1990), "Die Ballade vom armen Jakob", written 1940 [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Hans Gál (1890 - 1987), "Die Ballade vom armen Jakob (The Ballad of poor Jakob)", 1940, first performed 1940 [medium voice(s), flute, clarinet, string quartet and piano], from What a Life! - Music to the bilingual internment camp revue, Douglas, Isle of Man, no. 6. [ sung text not verified ]
Research team for this page: Malcolm Wren [Guest Editor] , Eva Fox-Gal
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