Das wandernde Glöckchen
Language: German (Deutsch)
Schon waren vom Baum die Blätter gesunken, die Nordwinde hauchten den Reif auf die Flur; verlöschend des Lebens erwärmenden Funken, umarmte der Spätherbst die starre Natur. Die Sonne war längst schon vom Himmel gewichen, es brannte der Kerzen erhellendes Licht, die ruhigen Räume des Hauses durchschlichen die nächtlichen Schatten mit blassem Gesicht. Da kam aus der Ferne ein Glöcklein gezogen behutsam mit ängstlichen Klängen heran, die Wehmut und düstere Anmut umflogen das wandernde Glöcklein und schlugen daran. Und immer zog's näher und näher dem Ohre, bis dass es im Zimmer ganz deutlich erklingt, als hätte geläutet die Klingel am Tore, obschon sich der Klöppel nicht reget noch schwingt. Seitdem ist der Winter vorübergegangen, doch trüber und ernster wie dieses Mal nie; des Lenzes belebende Kräfte durchdrangen aufs Neue die Knospen und öffneten sie. Da schallet das Glöcklein im Trauergeläute vom Turme und ruft meine Tochter ins Grab; das raubt mir die Ruhe, das Glück und die Freude, das bricht meinem blutenden Herzen den Stab.
Authorship:
- by Florentin, Freiherr von Drechsel  [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Franz Paul Lachner (1803 - 1890), "Das wandernde Glöckchen", op. 37 no. 5, published 1840 [ voice and piano ], from Des Sängers Feierstunden. Ein Cyclus von Liedern, no. 5, Wien, Diabelli und Co. [sung text checked 1 time]
Researcher for this page: Johann Winkler
This text was added to the website: 2020-03-29
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